ARTIKEL.

Uwe Heimowski
November 2014 | MOVO - Das neue Magazin für Männer

 

Mumm! Dürfen Politiker aus der Haut fahren?

 

Unsere Welt braucht Männer mit Vernunft und Leidenschaft (nicht nur) im politischen Geschäft.

Mumm muss man schon haben, um so klare Kante zu zeigen, wie Frank-Walter Steinmeier bei seinem Wahlkampfauftritt am 20. Mai auf dem Alexanderplatz in Berlin. Mit Trillerpfeifen und Zwischenrufen störten Europagegner die Rede des Außenministers, der sich für die EU und den Euro ausgesprochen hatte. Doch der zeigte „Emotionen im Wahlkampf. Steinmeier brüllt für Europa" (Handelsblatt).

 

Dürfen „die da oben“ das eigentlich? So aus der Haut fahren? Über zweieinhalb Millionen Klicks auf die Redesequenz Youtube, eine sehr breite und fast überall positive Presseberichterstattung sowie die sofort gestiegenen Sympathiewerte Steinmeiers lassen vermuten, dass es „beim Volk“ nicht schlecht ankam.

 

Kritik ist ein gewollter Teil unserer Demokratie

Vielleicht mitunter ganz gut ist, wenn dem ein oder anderen Promi mal der Kragen platzt. Rudi Völlers Verbalattacke gegen „Weizenbier-Waldi“ Waldemar Hartmann, mit der sich der damalige Bundestrainer vor seine Spieler stellte, ist legendär - und auch hier hat es der Popularität der beiden Protagonisten nicht geschadet, eher im Gegenteil.

Prominente im allgemeinen, und Politiker im Besonderen, müssen unheimlich viel einstecken. So wie es bei jeder Fußball-WM an die 80 Millionen Bundestrainer im Lande gibt, die im Nachhinein schon immer ganz genau gewusst haben, wie man den Gegner locker an die Wand hätte spielen können. So wie ein Wald von Illustrierten jede Bewegung der Kates and Williams dieser Welt festhält und auswertet. Wo hat es ein Politiker Tag für Tag einem Heer von Journalisten und Kritikern zu tun. Das gehört zum Job, es ist ein gewollter Teil der Demokratie. Wenn ein Politiker Kritik nicht verträgt, hat den falschen Beruf gewählt (äh, sich in den falschen beruf wählen lassen).

Doch es gibt dabei auch Grenzen. Die Flut von unsachlichen, infamen, unverschämten und nicht selten auch unter die Gürtellinie gehenden Emails, die sich Woche für Woche in die Landtags-und Bundestagsrechner der Abgeordneten ergießt, erfordert schon eine Widerstandskraft, die mitunter die Kräfte auch der robustesten Persönlichkeit übersteigt. Und wenn daraus, wie im Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulf, die allgemeine Vorverurteilung und anschließende öffentliche Demontage nicht nur eines Amtes, sondern eines Menschen und dessen Privatlebens wird, die sich im Nachhinein auch noch als völlig unbegründet erwiesen hat, dann fragst du dich schon: Müssen „die da oben“ sich das alles gefallen lassen?

 

Kritik berechtigt nicht zu schlechtem Stil

Ist es legitim, einen Außenminister mit Trillerpfeifen und unflätigen Zwischenrufen zu stören, wenn man doch in der Bundesrepublik - wofür uns übrigens eine Menge Ukrainer, Ägypter, Chinesen, Nordkoreaner, und Bürger vieler andere Länder beneiden - um die Ecke eine eigene Demonstration mit anderen, zu Steinmeier völlig konträren Meinungen, hätte anmelden dürfen?

Ich halte das für mehr als nur schlechten Stil. Das ist unverschämt. Und irgendwie ist es auch schmarotzerhaft: die Lärmer und Randalierer ziehen ihre Legitimation aus Popularität des anderen, (nur) so kommen sie in die Tagesschau. So wie manchmal Sektierer als Störenfriede in den Gottesdiensten anderer Kirchen auftauchen, um dann unvermittelt aufzustehen und laut hineinrufen, wie falsch das hier alles sei. Obwohl sie doch an der Ecke ihre eigene Kirche betreiben dürfen. Also, ich habe da eine klare Position: Wenn man so unqualifiziert angegriffen und provoziert wird, dann darf man auch mal laut werden.

Zumal das Gegenteil nun wirklich kein Typus von Politiker ist, den wir uns wünschen. Der sollte höchstens für eine Satire taugen: Der aalglatte, dauerlächelnde, wortreich schwafelnde Ja-und-Nein-zugleich-Sager, der dir alles verspricht, nichts hält, aber irgendwie doch damit durch kommt. Der uns aus jeder Talkshow anlächelt und darauf trainiert ist, nur noch kleine Inhaltshäppchen zum besten zu geben. Solche Typen gehen uns doch erst recht - und zu recht - auf den Senkel. (By the way: dieser Typ kann nicht nur als Politiker, sondern auch in anderer Gestalt, etwas als Verkäufer oder Pastor auftauchen.)

Wir brauchen echte Typen mit Mumm (und das können auch gerne Frauen sein). Typen, die uns vermitteln, dass sie im selben Leben stehen wie du und ich. Typen, die auch mal an ihre Grenzen kommen, die Emotionen zeigen, die sich wehren. Als Helmut Kohl 1991 in Halle / Saale mit Tomaten beworfen wurde, gingen dem „Kanzler der Einheit“ die Gäule durch, und er wollte auf die Werfer losstürmen, nur mit Mühe konnte Personenschützer den Koloss zurückhalten. Kohl hat eine Menge Häme dafür einstecken müssen - aber eben auch Sympathien erworben. Spätestens an diesem Tag war eines klar: dem Mann liegt auch emotional etwas an der deutschen Einheit. Kritik daran nahm er persönlich.

 

Vernunft und Leidenschaft gehören zusammen

Argumente sind die Grundlage einer demokratischen Kultur. Vernunft ist eine Notwendigkeit in jeder politischen Debatte. Doch, seien wir ehrlich: Bringt uns eine zwar vernünftig argumentierende, aber blutleere Rede wirklich in Bewegung? Leidenschaft, Emotion, Mumm - das braucht es genauso. Beides gehört zusammen, dann bewegt man(n) was.

 

 

Uwe Heimowski (50) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Gera. 

 

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