EIN EINSAMER WOLF?
Einblicke in das Leben von Jeremia
Manchmal erscheinen uns die biblischen Propheten wie strahlende
Helden. Sie gehen gerade ihren Weg, fürchten keinen Widerstand, kennen keine Angst. Klar und direkt adressieren sie ihre Botschaft an die Könige und Führer des Volkes.
Meistens erfahren wir nur wenig über das Leben dieser Menschen.
Die Person des Propheten Jesaja beispielsweise kennen wir kaum. Anders
bei Jeremia. Sein Geburtsort ist das Dorf Anatot bei Jerusalem. Sein
Vater war ein Priester namens Hilkia. Wir kennen auch seine Wirkungszeit
ziemlich genau: 627 bis 586 vor Christus. Das ist die Zeit der Könige
Joschija, Joahas, Jojakim, Jojachin und Zedekia, bis zur Zerstörung des
Tempels in Jerusalem. Nur die letzten Lebensjahre Jeremias liegen im
Dunklen.
Was noch beindruckender ist: Das Jeremiabuch gibt uns einen Einblick
in das Seelenleben des Propheten. Da lesen wir nicht nur von seinen
Stärken. Nicht nur von der bildhaften Inszenierung seiner Botschaft,
etwa als er ein Joch tragend vor die Herrschenden tritt. Jeremia lässt uns
auch in die Abgründe der Seele schauen. In sein Ringen mit Gott. In seine
einsamen Kämpfe.
AUF EINEM EINSAMEN POSTEN
Gott mutet ihm eine brutale Botschaft zu: Jerusalem wird zerstört und
Israel in die Gefangenschaft verschleppt werden. Jeremia soll das Volk zur
Buße rufen.
Doch wer will das hören? Die Ohren der Menschen jucken nach Bestätigung,
nicht nach Kritik. Wir wollen Wachstum, Wohlstand, Vergnügen.
Nicht solche Miesepeter wie Jeremia. Dabei ist es ein Weckruf Gottes an
sein Volk, den Jeremia überbringen soll. Sie amüsieren sich zu Tode, da
kann Gott nicht schweigen.
Doch die Geschichte lehrt uns: Niemandem ergeht es übler als dem
Überbringer einer schlechten Nachricht. Zu allem Über"uss muss Jeremia
sich gegen den falschen Propheten Hananja behaupten, der den Menschen
das Blaue vom Himmel verspricht und so zum Liebling der Massen
und der Herrschenden wird. Jeremia dagegen erntet Hohn und Spott.
Unschuldig landet er im Gefängnis.
VON GOTT ÜBERREDET
Trotz aller Anfeindungen bleibt Jeremia bei seiner Botschaft. Das geht dem
Propheten nicht »einfach so« von den Lippen. Im Gegenteil: Jeremia ringt mit
seinem Gott. Er hadert, er klagt, er ist der Verzwei"ung nahe:
»O Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du hast
mich überw.ltigt und den Kampf gewonnen. Für alle Welt bin ich zur Zielscheibe
des Spottes geworden – tagaus, tagein« (Jeremia 20,7).
Jeremia »re-signiert«, er will seine Unterschrift zurückziehen, den Auftrag
zurückgeben, den Bund mit Gott stornieren. Hatte er es nicht gleich gewusst?
Schon als Gott ihm das erste Mal einen Auftrag geben wollte (Kapitel 1)
hatte Jeremia sich geweigert. »Ich bin noch viel zu jung« (Jeremia 1,6), hatte
er Gott entgegnet. Der ließ das nicht gelten. »Vor den Menschen brauchst
du keine Angst zu haben, denn ich werde immer bei dir sein und dich retten«
(Jeremia 1,8), versprach Gott dem jungen Mann. Und Jeremia ließ sich
überreden, er ließ sich senden.
Doch nun, in der Stunde der Angst – nicht der ersten –, hadert der verzweifelte
Jeremia mit seinem Gott. »Du hast mich überredet« – besser noch
übersetzt mit: »du hast mir den Kopf verdreht«. Liebende gebrauchen dieses
Wort, das hier im hebräischen Original steht. »Ich habe mich in dich verliebt
– ach, hätte ich doch lieber den Kopf eingeschaltet«. Genau das ist Jeremias
Klage.
Welcher vernünftige Mensch lässt sich auch mit einer Gerichtsbotschaft
zu den Menschen senden? Welcher klar denkende Zeitgenosse wird
seinen Mitmenschen ihr Versagen vorhalten und sie zur Umkehr rufen?
Kaum jemand. Das kann nicht gut gehen. Die Ablehnung lässt sich vorhersehen.
Für Jeremia geht es um Leben und Tod. Verzweifelt bricht es aus ihm heraus:
»Der Tag soll verflucht sein, an dem ich geboren wurde! Kein Segen soll auf
dem Tag liegen, an dem mich meine Mutter zur Welt brachte! Verflucht sei auch der
Bote, der meinem Vater die Nachricht brachte: ›Freu dich: Dir ist ein Sohn geboren!‹
(…) Warum nur musste ich bei meiner Geburt den Mutterleib verlassen? Mein ganzes Leben besteht nur aus Kummer und Sorgen, und jeder Tag bringt mir Schimpf und Schande.« (Jeremia 20,14-15.18)
ER KANN NICHT ANDERS
Trotz seiner Verzweiflung kann Jeremia nicht schweigen. Seine Gebeine
brennen wie Feuer, wenn er schweigt, und auch sein Herz wird von diesem
Feuer ergriffen (Jeremia 20,9). Jeremia ist »verliebt« in seinen Gott, selbst
dann noch, wenn er an den Konsequenzen zu zerbrechen droht. Denn wer
Gott mit dem Herzen begegnet, der kann gar nicht anders, als Gott zu gehorchen
und weiterzusagen, was er gehört hat. »Wir können nicht aufhören, von
dem zu erzählen, was wir gesehen und gehört haben«, sagen Petrus und Johannes
vor ihren Richtern, die sie mit Gefängnis bedrohen und ihnen verbieten
wollen, das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden und Menschen in
seinem Namen zu heilen (Apg 4,20). Wir können nicht anders, sagen sie.
Auch Jeremia kann nicht anders. Er rafft sich auf, verkündet, was er verkünden
muss. Doch seine Stimme verhallt beim Volk und den Herrschern.
Es kommt, wie es kommen muss. Die Stadt wird zerstört, die Bevölkerung
ins Exil verschleppt.
HOFFNUNGSSCHIMMER
Jeremia bleibt in den Trümmern zurück. Wieder ist der Prophet einsam
und verzweifelt. Und wieder redet Gott zu ihm. Jeremia schreibt einen
Brief an die Menschen im Exil. Und siehe da: dieser Brief ist voller Hoff-
nung. Denn nicht der Ort Jerusalem, sondern Gott selbst will die Hoff-
nung Israels sein. Jeremia schreibt:
»Der Herr, der Allmächtige, der Gott Israels, schickt allen Verbannten, die
er von Jerusalem weg nach Babel in die Gefangenschaft führen lassen hat, folgende
Botschaft: ›Baut Häuser und richtet euch dort zum Wohnen ein. Legt
Äcker und Gärten an und freut euch an den Früchten, die ihr erntet. Heiratet
und zeugt Söhne und Töchter. Sucht für eure Söhne Frauen und verheiratet eure
Töchter, damit sie Söhne und Töchter zur Welt bringen. Euer Volk soll wachsen
und nicht kleiner werden. Setzt euch ein für den Frieden und das Wohlergehen
Babels, wohin ich euch als Verbannte geschickt habe. Betet für das Wohlergehen
der Stadt – denn wenn die Stadt, in der ihr gefangen gehalten werdet, Frieden
hat, habt ihr auch Frieden‹« (Jeremia 29, 4-7).
Danke, Jeremia, für dein Vorbild!
Uwe Heimowski